#09 Peppilotti rodelt
Tief verschneit strahlte der Wald eine wohltuende Ruhe aus. Hie und da sah man ein Eichhörnchen, ein Reh, die Raben und natürlich den Hirsch als Waldhüter-Stellvertreter. In diese Stille hinein ertönte es lautstark: »Peppilotti, Peppilotti«.
»Na, sagts einmal ihr Lausbuben, was fällt euch ein, unsere Waldruhe zu stören? Geht’s vielleicht ein paar Oktaven leiser?«, schnaubte der Hirsch leicht genervt.
 
»Sorry, wir müssen unbedingt mit Peppilotti sprechen, hörst du, u-n-b-e-d-i-n-g-t!«
»Ja, um Himmelswillen, was gibt es denn so Dringendes, das keinen Aufschub duldet?«, fragte der Hirsch, in dem er unwillig mit seinen Hufen scharrte, »als Waldhüter-Stellvertreter kann ich euch vielleicht behilflich sein?«
»Nun, ja«, begann Denis, der Älterste, zu stottern, »es ist etwas sehr Persönliches. Bitte lass‘ uns mit Peppilotti sprechen!«
 
Von dem Lärm erwacht stand die weise Eule mit ihrem bunten Winterpyjama und flauschigen Fellschuhen vor der Hüte und blinzelte schlaftrunken in die Helligkeit des Tages.
»Was ist das für ein Tumult in meinem Wald?«, fragte Peppilotti und sah sich drei halbwüchsigen Buben gegenüberstehen.
»Verzeihe uns die Störung, verehrte Peppilotti. Wir müssen dringend mit dir sprechen. Es ist wirklich sehr wichtig!«
 
«Na dann, hereinspaziert in die gute Stube! Mögt ihr einen warmen Kakao und ein Marmeladebrot? Mit angewärmten Magen lässt es sich bekanntlich leichter reden.«
Erleichtert nahmen die drei Platz in dem gemütlichen Holzhäuschen und stellten sich vor.
»Ich bin Denis, der heißt Mario und der Jüngste heißt Maxl«, eröffnete der Älteste den Dialog.
»Sehr erfreut, euch kennenzulernen. Was gibt es nun so Wichtiges?«, fragte die Eule, während sie den Kakao und die üppigen Marmeladebrote auf den Tisch stellte.
 
»Ja, also...«, begann Mario, »die Sache ist so…« »Mei, jetzt druck net so umadum und sog, wos is«, fiel Maxl ihm ins Wort. »Also, warum wir hier sind…«, stotterte Mario herum.
»Ich sehe schon, ihr benötigt etwas Starthilfe«, schmunzelte die Eule. »Habt keine Angst, redet ‚frei von der Leber weg‘, wie man so schön sagt.«
 
»Ok. Kurz und gut, wir haben mit einer Gang aus einem Stadtteil eine Wette abgeschlossen. Diese besagt, dass du, liebe Peppilotti, dich nie und nimmer traust, auf einer Rodel die Olympia-Abfahrt hinunter zu fahren. Und voreilig, wie wir waren, gingen wir auf diese Wette ein. Der Verlierer muss mit einer Rodel den waghalsigen Eiskanal bezwingen. Kennst du die Bobbahn? Weißt du, wie steil diese ist und vor allem: Sie besteht aus blankem Eis! So, jetzt ist es gesagt. Bitte, lass‘ uns nicht im Stich. Bitte, bitte, bitte.«
 
»Da habt ihr aber eine, sagen wir, außergewöhnliche Wette einzugehen.» Nachdenklich strich sich Peppilotti ihre Flügel glatt, sah die Buben aus ihren wunderschönen grünen Augen an und setzte fort. »Ich kenne die Strecke, ist ja sozusagen gleich ums Eck. Ihr wisst schon, dass ich dabei knapp 1.000 Höhenmeter zu überwinden hätte! Ganz ehrlich, ob ich mir das zutraue – ich weiß es noch nicht. Noch dazu mit einer Rodel. Ihr müsst wissen, ich bin noch nie gerodelt. Was da alles passieren kann…«
Der Hirsch, der das Gespräch mitverfolgte, schüttelte nur seinen Kopf und murmelte: »Die Menschen werden immer verrückter…«
 
»Wir wissen, dass der Vorschlag ungewöhnlich ist, ja auch etwas gefährlich. Doch wenn es eine schafft, dann wohl du, liebste Peppilotti. Eine Eule, die kein Abenteuer auslässt, das wäre wohl eine Bereicherung für dich, oder?«, versuchte Denis ihr das Rodel-Abenteuer schmackhaft zu machen.
»Wann, soll dieses Spektakel stattfinden?«, fragte Peppilotti vorsichtig. »Kommendes Wochenende«, antwortete Denis und zupfte aufgeregt an seinem Pullover umher.
»Nun, dann lasset uns das Abenteuer beginnen!« Peppilotti schlang ihre Flügel um die drei Buben und sagte verschwörerisch: »Zuerst bringt ihr mir das Rodeln bei und dann kann uns keiner mehr aufhalten, was meint ihr?!«
 
Xaver fertigte eine für sie zugeschnittene Rodel an. Die Kufen wurden mit einem speziellen Wachs behandelt, damit sich die Rodel leicht auf dem Schnee fortbewegen konnte. In das Holz waren Abdrücke von allen Waldbewohnern eingraviert und somit erhielt Peppilotti einen unverwechselbaren Schlitten.
Die nächsten Tage versuchte die Eule auf der Rodel ihr Gleichgewicht zu halten und die Geschwindigkeit auszuloten. Auch der Bremsvorgang gelang ihr immer besser. Sie amüsierte sich köstlich darüber, da sie anfangs mehr im als auf dem Schnee war.  Sie tauschte ihren Tiroler Hut gegen eine dicke Pudelmütze mit Bommel, trug einen bunten Schal, der mehrfach um ihren Hals geschlungen war und dicke Boots, die ihre zarten Füße wohlig warm hielten.
Abends erzählte sie den Waldbewohnern über ihre Fortschritte und verstand immer mehr, warum Kinder diese Sportart so sehr liebten.
 
Der Tag X war gekommen. Die drei Buben fieberten dem Ereignis mit klopfenden Herzen herbei. Aber auch Peppilotti ging diesmal über ihre Grenzen hinaus und hatte Herzklopfen.
Mit der Seilbahn gelangten Denis, Mario, Maxl und Peppilotti auf den Hausberg Innsbrucks, dem Patscherkofel. Peppilottis Rodel wurde an der Außenwand der Gondel befestigt. Die Kameras der Wintersportler wurden eifrig gezückt – eine Eule mit einer Rodel, so etwas hatte die Welt noch nie gesehen! Unterwegs fragte sich die weise Eule immer wieder, wie sie heil über diese steile Olympia-Abfahrt gelangen konnte. Sie sprach sich selbst immer wieder Mut zu und hatte das Ziel vor Augen, über ihre Grenzen zu gehen. Insgeheim wusste sie, dass eine unsichtbare Hand sich schützend um sie legen würde. Auch wollte sie die Kinder keinesfalls enttäuschen.
 
Als sie an der Bergstation auf knapp 2.000m ankamen, trauten sie ihren Augen nicht. Dicht bevölkert, mit tobendem Applaus, standen unzählige Zaungäste und riefen: »Peppilotti, du schaffst das! Peppilotti, gleite bergab. Hals und Beinbruch! Peppilotti, du coole Socke!« Ein Kameramann auf Skiern begleitete Peppilottis Abfahrt, um in der Lokalpresse zu berichten. Die Eule streckte sich, sprach ein Gebet in den Himmel, zog ihren Schal und ihre Haube enger, nahm den Gurt in die Hand, tauchte an und los ging die Fahrt.
 
Entlang der Olympiaroute fuhr sie 300m bis zur Mittelstation, wobei sie mehrmals bremsen musste. Immer schneller wurde ihre Rodel, bis sie sich beinahe verhedderte. Eine Wurzel, die aus dem Schnee herauslugte, brachte sie fast zu Fall. An der Mittelstation angekommen, klopfte ihr Eulenherz wie verrückt. »Wie müssen sich die Skifahrer wohl fühlen auf zwei Brettern unter ihren Füßen?« Sie hielt kurz an, holte aus ihrem Rucksack ihre Thermoskanne, trank einen kräftigen Schluck von ihrem Waldbeerentee, verstaute alles sorgfältig wieder in ihrem Rucksack und setzte ihre Fahrt von der Mittelstation zu ‚Heilig Wasser‘ auf 1.200m fort. Unterwegs winkten ihr die Waldbewohner zu, ermutigten sie, nicht aufzugeben. Auch die Zaungäste entlang der Piste feuerten sie immer wieder an. Als sie endlich in der Höhe von ‚Heilig Wasser’ angekommen war, seufzte sie laut aus, denn jetzt hatte sie es bald geschafft. Nur noch 200m und sie hatte gemeinsam mit den Buben die Wette gewonnen. Und dann geschah es, sie hatte die Talstation bereits im Visier, als sie mit ihrer Rodel stürzte.  Sie rutschte mehrere Meter talwärts und blieb benommen zwischen einer Baumgruppe liegen.
 
Ein Aufschrei ging durch die Menge! Ihre Rodel hatte eine Kufe verloren und hing ebenfalls zwischen den Bäumen.
War die Wette damit verloren? Sie musste es irgendwie schaffen, diese wenige Meter bis zur Talstation. Aber wie, mit nur einer Kufe? Könnte das gelingen? Ein Streckenbetreuer kam Peppilotti zu Hilfe. Und gab mit seinem Funkgerät Entwarnung.
»Auf dieser Strecke macht es durchaus Sinn, einen Helm zu tragen. Das gilt auch für Eulen!«, schüttelte der Mann fassungslos den Kopf.
»Jetzt, wo du es sagst…«, antwortete Peppilotti zaghaft. »Ich muss es bis zur Talstation schaffen, sonst gilt die Wette als verloren. «, setzte sie verzweifelt fort, »kannst du mir dabei helfen?« »Klar kann ich, ich werde die eine Kufe mit einem Kabelbinder notdürftig zusammenschnüren – es sollte die wenigen Meter bis zur Talstation halten.«
 
Indessen rieb sich die Gang die Hände. Sie wähnten sich ihrem Gewinn bereits nahe. Verzweifelt hielten sich Dennis, Mario und Maxl an den Händen und stammelten immer wieder: »Des dearf do nit wahr sein! So knapp vorm Ziel! Des gibt’s do gor nit!« Und inmitten ihrer Verzweiflung – im Geiste sahen sie sich bereits den Eiskanal runter rodeln – sahen sie aus gewisser Entfernung Peppilotti. Die eine Kufe etwas schräg gestellt, aber dennoch Bodenkontakt habend, bremste die Eule vor den Kindern und den Zaungästen. »Das war knapp, was?!«, schmunzelte eine überglückliche Peppilotti und lies sich feiern wie ein Star.
 
Am Abend saßen alle vor einem tragbaren TV-Gerät, dass Peppi ihnen besorgt hatte. Sie verfolgten nochmals die Schlittenfahrt Peppilottis und den anschließenden Medienrummel. Kopfschüttelnd meinten die Waldbewohner: »Ehrlich Peppilotti, du bist neben der weltbesten Waldhüterin heute zu einer der mutigsten geworden!«
Zufrieden legte sich die Eule zurück und sagte zu den Anwesenden: »Never give up! Auch wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her!«
 
Die drei Lausbuben dankten der weisen Eule für eine wichtige Lebenserfahrung, die sie heute machen durften. Und wie ging es mit der Gang weiter? Die verkniffen sich die Einlösung der Wettschulden und waren fortan so schnell vergessen, wie sie erschienen waren…
 
Bis zum nächsten Mal, deine Peppilotti
 
© Andrea Mayr
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