Prolog
Endlich sitzt sie wieder auf der Fähre, die sie auf ihre geliebte Insel bringt. Ein Jahr ist bereits vergangen, als sie auf demselben Weg ihre Heimreise angetreten hat. Vor acht Jahren entdeckte sie dieses zauberhafte Eiland durch puren Zufall. Es war dieses Jahr, als sie zum allerersten Mal alleine verreiste, sie hatte weder Ziel noch Plan. Ans Meer, war die einzige Bedingung. Das Flugzeug brachte sie auf das Festland. Vom Flughafen nahm sie ein Taxi zum Hafen und gönnte sich eine Erfrischung an diesem heißen Junitag. Sie genoss die ungezwungene, fröhliche Atmosphäre, die sie umgab, ganz anders, als in ihrer Heimat. Dort werden ihr die Menschen zunehmend befremdlicher, immer getrieben, von einem Termin zum nächsten, kaum jemand, der sich noch Zeit nimmt, das Leben zu genießen.

»Na, schönes Fräulein, so alleine hier und so in Gedanken versunken? Ich wüsste eine Insel, in der sich die Gedanken im Nu ins Nichts auflösen, eine wunderschöne, eine ruhespendende Naturperle, etwas, was euch Stadtmenschen guttut!« Sie sah von ihrem Getränk auf und blickte in ein paar warmherzige, dunkelbraune Augen. Sie hatte sofort das Gefühl von Nähe bei diesem Mann, das Gefühl, ihr könnte nichts Schlimmes passieren. »Oh, Verzeihung, wie unhöflich von mir, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Costas, musste am Festland noch etwas erledigen und warte jetzt auf die Fähre, die mich zu meiner Heimatinsel bringt.«

Etwas brachte sie zum Lächeln. Einerseits, das Wort »Fräulein«, andererseits die Gesamterscheinung dieses Mannes, seine ungezwungene Art, auf Menschen zuzugehen und vor allem sein Strohhut, der seine besten Jahre bereits hinter sich hatte. »Greta, mein Name. Sie haben recht, wir Stadtmenschen sind gestresst und vergessen dabei auf das Leben!« Er lachte sie aus voller Kehle an und antwortete: ‚Du‘, bei uns gibt es kein ‚Sie‘! Eine Erfindung aus deutschsprachigen Ländern, etwas, was kein Mensch braucht! Bei uns auf der Insel, sei dir gesagt, gibt es kein ‚Sie‘! Nie, niemals auch nicht von unserem verehrten Bürgermeister, nirgends, wirst du ‚Sie‘ hören, das als kleiner Einstieg in die Welt der Insulaner. Und wie es der Zufall will, haben meine liebste Frau Aglaia und ich, eine kleine, schnuckelige Pension. Solltest du bei uns übernachten wollen, du würdest dich wohlfühlen! Und für das leibliche Wohl ist auch gesorgt, wir betreiben nebenbei eine kleine Taverne.« Das war der Beginn einer Freundschaft, die nun schon seit acht Jahren andauert.

So sitzt sie auch diesmal wieder an ihrem Lieblingsplatz auf der Fähre, sieht die bezaubernde Landschaft an sich vorbeiziehen. Die zweieinhalb-stündige Fahrt vom Festland zu dem kleinen Eiland beschert ihr jedes Mal ein erstes Aufatmen. Sie sieht und hört dem Gekreische der Möwen zu, lässt sich den frischen Meereswind um die Nase wehen und genießt die grenzenlose Freiheit, die sich innerhalb kürzester Zeit einstellt. Für gewöhnlich fährt sie Anfang Juni hierher, doch heuer sollte es anders sein, ein innerer Impuls drängte sie, bereits Mitte Mai loszufahren.

Diese Insel besitzt den typischen Landschaftscharakter Griechenlands: Obst- und Gemüseanbau, Schaf- und Ziegenherden. Eseln transportieren auch heute noch das frische Obst und Gemüse über die uralten Eselspfade. Als das Hupsignal der Fähre ertönt, macht sie sich auf den Weg zum Ausgang. Jedes Mal ist sie fasziniert von dem Schauspiel, dass sie erwartet. Der Hafen vibriert vom Stimmengewirr der Insulaner, eine ohrenbetäubende Laustärke! Mit der Fähre treffen unter anderem Grundnahrungsmittel für den einzigen Supermarkt und die beiden Restaurants ein, alle Arten von Ersatzteilen und eben auch Touristen. Von Jahr zu Jahr werden es mehr, eigentlich zu viele, für ihren Geschmack. Das glasklare Wasser, die einsamen, idyllischen Buchten, nur fußläufig oder mit kleineren Booten zu erreichen, locken immer mehr Besucher an. Anders als die üblich weiß getünchten Häuser Griechenlands, sind auf dieser Insel die alten, steingemauerten Häuschen erhalten geblieben. Diese terrassenförmig angelegten Behausungen besitzen einen natürlichen klimatischen Austausch und ersetzen bis heute moderne Klimaanlagen. Noch eine Besonderheit gibt es hier in dieser Abgeschiedenheit: Alle Frauen, egal welchen Alters, werden hochgeschätzt, verehrt, bewundert. Die Männer vertrauen ihnen, ihrer innewohnenden Weisheit.

Von Weitem sieht sie Aglaia und Costas schon mit ihren hellen Taschentüchern winken. Ihr geht jedes Mal das Herz auf, wenn sie die beiden sieht! Dieses liebenswerte Ehepaar ist zwischenzeitlich so etwas wie eine Ersatzfamilie geworden. Sie selbst hat keine Angehörigen mehr. Umso intensiver genießt sie alljährlich die fürsorgliche, liebenswerte und bodenständige Art der beiden. Aglaia, kaum älter als sie, hatte sie vom ersten Moment an in ihr Herz geschlossen. Ihre mütterliche Art erweckt in ihr immer ein Gefühl der Geborgenheit, ein nach Hause kommen auf Zeit.

Ihre Küche ist legendär. Einfache, saisonale Gerichte, sehr schmackhaft, täglich frisch zubereitet. Der charmante, gutmütige, 65-jährige Costas, immer zu Späßen aufgelegt. Ein Imitator, der alles und jeden nachzuäffen scheint, beschert Greta immer einen lang andauernden Lachanfall. Da beide viele Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hatten, gibt es für sie auch keine sprachlichen Barrieren. »Endlich, da bist du ja wieder!«, rufen ihr die beiden schon von Weitem zu. »Komm, lass dich drücken, liebste Greta«, drängt sich Aglaia vor Costas, in dem Wissen, dass sie sonst ewig lange auf ihr Begrüßungsritual warten müsste. »Ach, ihr beiden, tut das gut, wieder bei euch zu sein! Habt ihr meinen geliebten Espresso schon kalt gestellt?«

Einige Tage später sitzt sie auf der Terrasse der Taverne und genießt ihren obligaten, eisgekühlten Espresso. In der stärker werdenden Mittagshitze läuft das Glas bereits in wenigen Sekunden an. Wie kleine Perlen rinnt das entstehende Kondenswasser ab. Sie lässt sich mitnehmen von den Gerüchen und den Stimmen rund um sie, lässt sich treiben, ihre Gedanken ebenso. »Greta, wo bist du nur schon wieder mit deinen Gedanken? Liebe Freundin, du denkst eindeutig zu viel! Genieße mehr, lebe mehr!«, redet Costas in ihre Gedanken hinein, »ob du morgen mitkommen möchtest zum Hafen, wollte ich wissen! Morgen ist schon wieder Mittwoch, du weißt ja, da kommt die Fähre an.«

»Oh, ja! Sehr gerne! Unglaublich, wie ich hier bei euch immer wieder das Zeitgefühl verliere!« Sie vereinbaren den morgigen Zeitpunkt, plaudern noch etwas, auch mit Aglaia, die soeben dazukommt. Dann bricht sie auf zu ihrem Lieblingsplätzchen am Meer. Mit Strohhut, einer Badetasche und einer Wasserflasche schlendert sie entlang des alten Eselspfades, etwas oberhalb der Küste. Wie sehr sie diese Insel liebt, wird ihr jedes Mal bewusst, wenn sie hier entlang geht! Die Aussicht, die Weite des Meeres, die kleinen Fischerboote, die würzigen Wildkräuter, all das lässt sie durchatmen und ihr Herz erweitern. Meistens ist sie hier alleine, dieser unwegsame Weg kann durchaus herausfordernd werden, speziell um die Mittagszeit. Hin und wieder begegnet sie einem Bauer mit seinem beladenen Esel und vereinzelt trifft sie auf junge Backpacker, auf der Suche nach der perfekten Bucht.

© Andrea Mayr
aus dem Roman: Greta und die feminin-magische Insel
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