#07 Peppilotti in Nöten
Es wurde ruhig im Wald. Viele der Waldbewohner befanden sich bereits im Winterschlaf oder in Winterstarre. Selbst die Vögel waren nur wenige Zeit des Tages damit beschäftigt, sich die übriggebliebenen Früchte des Waldes zu teilen. Die Fertigstellung des Holzhäuschens unterbrach von Zeit zu Zeit die Stille. Das Häuschen wurde von Tag zu Tag gemütlicher. Jetzt, da die Inneneinrichtung sich dem Endspurt neigte, eine Heizquelle aufgestellt, die Fenster isoliert und mit Farbe versehen war, sah der Raum schon einladend aus. Sogar die ersten Bodenpölster, Decken und Schlafsäcke waren bereits geliefert worden. Zufrieden klopften sich Peppi und Xaver gegenseitig auf die Schultern und waren sichtlich stolz auf ihre Baukünste.
 
Eines Tages, Peppilotti war wieder einmal auf einer ihrer Reisen, beschlossen die Waldbewohner ihre Hüterin zu überraschen. Im tiefer gelegenen Wald gab es eine Höhle, die sie so gut wie nie nutzten. Um dem entgegenzuwirken, beschloss der Rat der Waldbewohner, diese für das kommende Fest zu nutzen. Die Höhle war großzügig geschnitten, sodass alle darin Platz finden würden. Durch puren Zufall fanden sie heraus, dass die Akustik der Höhle einmalig war. Und so planten sie gemeinsam, dort ein kleines Konzert zu veranstalten. Vor ihrem geistigen Auge entstanden Bilder, wie dort die Freunde Peppilottis gemeinsam musizierten und sangen. Ein kleines Pianino wurde organisiert und stand vor einem Felsenvorsprung, bereit für ihren Einsatz.
 
Peppilottis geplante Reise nach Rom wurde einstimmig von den Waldbewohnern abgesagt. Denn die Eule fühlte sich seit ein paar Tagen nicht wohl, ohne konkret zu wissen, was ihr fehlte. Vor ihren sonst so klaren Augen hinderte sie ein undefinierbarer Schleier daran, scharf zu sehen. Aus ihrem Schnabel rann eine schleimige Flüssigkeit und ihr Federkleid hing schlaff an ihrem Körper herab. Auch ihre Krallen schienen seltsam verkrampft. Alle herkömmlichen Naturheilmittel brachten Peppilotti keine Besserung. Ihr ging es von Tag zu Tag schlechter. Ungewöhnlich war auch ihre Appetitlosigkeit. Dennoch verhandelte sie mit der Jugendherberge und ließ sich zwei größere Zimmer für die Freunde reservieren.
 
Als sie auch noch ihre Stimme verlor, zeigte sich der Hirsch, der Stellvertreter des Waldes, sehr besorgt. Er fragte sich immer wieder, wie er Peppilotti helfen konnte. Ein Gespräch mit Peppi und Xaver ließ ihn Hoffnung schöpfen: »Wir kennen eine einfühlsame, kompetente Tierärztin. Sie hat uns schon öfters mit unseren Tieren geholfen. Vielleicht weiß sie Rat? Vielleicht kann sie Peppilotti ein Medikament verabreichen, damit es ihr wieder besser geht? Wir werden Elisabeth, so heißt sie, sogleich kontaktieren!« »Ja, macht das, so schnell als möglich!«
 
Während die Tiere auf Elisabeth warteten, hüllten sie Peppilotti in warme Decken, zogen ihr dicke Socken an und umwickelten ihren Hals mit einem Schal. Sie legten sie behutsam in das Holzhäuschen in die Nähe des Ofens. Besorgniserregend hörten sie ein Röcheln aus Peppilottis Brustkorb. »Hoffentlich kommt Elisabeth bald und kann unserer Waldhüterin helfen!«, flüsterten Familie Eichkätzchen leise. »Es sieht so aus, als ob Peppilotti in ihren letzten Atemzügen stünde«, riefen die Brieftauben aufgeregt.
 
»Ku-witt, ku-witt, ku-witt«, ertönte es schwach aus Peppilotti. Immer wieder sprach sie diese Worte. »Weiß jemand von euch, was das zu bedeuten hat?«, fragten Taubsi und Täubchen verzweifelt. Alle schüttelten ihre Köpfe oder Flügel. Keiner wusste Rat. »Wo bleibt die Tierärztin?!«, riefen die Kohlmeisen aufgeregt. »Wo bleibt euer Vertrauen, verehrte Waldgemeinschaft?«, krähten die Raben, »Hilfe ist unterwegs. Alles zu seiner Zeit!«
Man merkte, dass Peppilotti etwas sagen wollte, doch sie war bereits zu schwach dazu. Hinter ihren geschlossenen Augenliedern bemerkte man, dass sie etwas intensiv zu beschäftigen schien.
 
Als Elisabeth mit ihrem Notarztkoffer eintraf, waren die Waldbewohner erleichtert. Auch darüber, dass sie nun nicht mehr die alleinige Verantwortung tragen mussten. Die Tierärztin begrüßte die Tiere des Waldes und sagte: »Dann schauen wir einmal, ob ich Peppilotti helfen kann!« Vorsichtig tastete sie den Körper der Eule ab, maß Fieber, zog eine Ampulle mit einer goldgelben Flüssigkeit auf, untersuchte ihre Krallen und Ballen und entnahm ihr etwas Blut. Auch sie höre die seltsamen Rufe Peppilottis und ein Lächeln umspielte ihren Mund. »Was gibt es hier zu lachen?«, röhrte der Hirsch, strenger als er beabsichtigte.
 
Elisabeth blickte tief in seine Augen und antwortete: »Oh nein, geliebter Hirsch, da hast du etwas missverstanden! Ich lächelte nicht über Peppilottis Zustand, sondern über ihre Laute. „Ku-witt“ ist der uralte Ruf der Eulen untereinander. Sie unterhält sich allem Anschein nach mit ihren Ahnen und Ahninnen.« »Oh Gott!«, rief der Hirsch erschrocken, »mit den Ahnen? Das heißt, sie muss von uns gehen?! Oh nein, bitte sag‘, dass das nicht wahr ist! Gibt es gar nichts, was wir dagegen tun könnten?« »Beruhige dich Hirsch! Es ist völlig normal, dass sich Eulen, wenn sie krank sind, mit diesem Ruf an ihre Ahnen wenden.«
 
Während Elisabeth die Auswertung von Peppilottis Blutabnahme in ihrem mobilen Labor vornahm, atmeten die Waldbewohner erleichtert auf. Mit ihrem fundierten Wissen stellte sie die Diagnose und teilte den Bewohnern diese umgehend mit. »Peppilotti hat sich eine heftige Grippe einerseits und eine Bronchitis andererseits eingefangen. Woher bleibt mir ein Rätsel. Keinen Grund zur Panik! Nach einer Woche Bettruhe hier in dem Häuschen und etwas Medizin sollte sie bald wieder fit sein. Übrigens, sehr gemütlich, euer Holzhäuschen! Sorgt bitte dafür, dass sie ausreichend trinkt. Kräutertees und Suppen wären optimal. Ich lasse euch eine Pipette zum Einflößen da. Sollte sich ihr Zustand verschlechtern oder ihr etwas benötigen, sagt mir Bescheid.«
 
Von einem weit entfernten Platz, irgendwo zwischen Hier und Dort, saß Peppilotti mit ihren Ahnen und sah herab auf ihr Waldstück. Voller Stolz zeigte sie den Ahnen, wie sehr die Waldgemeinschaft sich gegenseitig trägt. Diese waren verwundert, denn zu ihrer Zeit gab es so einen Zusammenhalt nicht. Damals, als sie noch auf der Erde weilten, waren sie allesamt Einzelgänger. Nur während der Paarung und der Aufzucht der Jungen waren sie in Gemeinschaft. Was hätten sie damals schon alles bewirken können! Auch das eine Eule jemals auf Reisen gehen könnte, hätten sie sich in ihren kühnsten Träumen nie vorstellen können. Als die Ahnen sahen, wie rührend sich die Waldbewohner um Peppilotti kümmerten, sagten sie berührt: »So etwas haben wir noch nie erlebt! Sie mal, wie behutsam sie dir Suppe und Tee einflößen, damit du dich nicht verschluckst! Und ihre Gesänge, wie hingebungsvoll sie deine Lieblingslieder singen! In diesem Wald würden wir auch gerne unsere Zeit verbringen!«
 
»Ihr verbringt eure Zeit in meinem Wald, denn ihr seid stets bei mir. Nie sind wir voneinander getrennt, auch nicht während meiner Reisen. Das wollte ich euch schon öfter sagen. Und auch, dass nur durch eure Vorarbeit ich heute die Früchte tragen darf, die ihr gesät habt. Auch meine Weisheit habe ich euch allen zu verdanken. Und so werden wir dieses heurige Wintersonnenfest auch all unseren Ahnen widmen.«
 
Nach einer Woche ging es Peppilotti bereits viel besser. Ihre Augen wurden wieder klarer, sie gewann ihre Stimme zurück und auch ihr Federkleid erstrahlte wieder in ihren prächtigen Farben. Noch benötigte sie viel Ruhe, doch die ersten Schritte vor das Holzhäuschen konnte sie bereits genießen. Der Tag beschenkte sie mit einem zarten Hauch von Sonnenlicht. Es war dieses Novemberlicht, dass nur an manchen Tagen schien. Etwas sehr Spezielles. Sie sah an ihrem Federkleid herab und entdeckte kleine, bunte Kreise, die in diesem Licht reflektierten. Da wusste Peppilotti, dass ihre Ahnen ihr ein Zeichen sendeten. Sie hob einen Flügel, verbeugte sich, so gut es ihr Zustand erlaubte und hauchte ein bewegtes »Danke« gegen den Himmel.
 
Bis zum nächsten Mal, eure Peppilotti
© Andrea Mayr
 
 
 
 
 
 
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