#01 Peppilotti in der Steiermark
Peppilotti langweilte sich zusehends. Tagein, tagaus dasselbe Einerlei. Die Menschen in ihrem Waldstück hörten ihr nicht mehr zu. Eines Nachts, als die Jagd beendet war, versammelten sich alle Tiere des Waldes um das große Lagerfeuer. Jeder brachte einen Teil seiner Beute mit und so gab es ein rauschendes Fest. Selbst die Elfen und Gnome, die Blumen, das Moos und die Bäume gesellten sich dazu. Es wurde gelacht und getanzt, sie erzählten sich die Erlebnisse des Tages. Sie erwähnten die Menschen, die den Wald aufsuchten.
 
»Was könnt ihr mir heute Besonderes berichten?«, fragte Peppilotti, die weise Eule. »Schrecklich, sag‘ ich dir, ganz schrecklich! Wie können die Menschen derart viel Müll hinterlassen? Merken sie nicht, was sie uns damit antun?«, eröffnete Frau Meise das Wort. »Ja, das ist mir auch aufgefallen, dass die Müllberge immer größer werden! Was ist nur los mit den Menschen? Sind sie blind geworden für all das Schöne, was es hier auf Erden gibt?«, antwortete Herr Fuchs. »Und wenn wir sie sanft im Nacken zwicken, bemerken sie nicht einmal das, so voll ist ihr Kopf mit ihren sinnlosen Gedanken«, ergänzten die Kobolde. »Traurig nehmen auch wir zu Kenntnis, dass vielerorts Blumen gepflückt und dann achtlos liegengelassen werden«, riefen die Elfen aufgeregt. »Es wird Zeit, dass wir etwas unternehmen«, raunte der Bach, »auch bei mir scheinen sie all die Dinge loszuwerden, die sie nicht mehr benötigen.«
 
Peppilotti hörte aufmerksam zu. Mit ihrem Schnabel schrieb sie einige Notizen auf. »Kann keiner von euch etwas Positives von den Menschen berichten?«, fragte sie eindringlich. »Doch, wir können das«, rief ein Kuckuckspärchen. »Wir sehen, zugegeben selten, aber doch, also wir sehen Menschen, die sich des Waldes annehmen. Sie sammeln unermüdlich allerorts den Müll ein, wohlwissend, dass es eine Sisyphus-Arbeit ist. Diese Menschen kommen in regelmäßigen Abständen und sehen nach dem Rechten.«
 
»Soso«, antworte Peppilotti, »gibt es unter euch noch jemanden, der Ähnliches beobachten konnte?«, fragte sie die Waldbewohner. Diese sahen sich gegenseitig an, verneinten mit ihren Köpfen und starrten traurig auf dem Boden.
»Nun, ich habe von einem Mädchen gehört, sie wohnt etwas weiter entfernt von hier. Sie besitzt die Gabe, mit allen Wesen der Natur zu kommunizieren. Was haltet ihr davon, ihr einen Besuch abzustatten? Sie könnte uns als „Dolmetscherin“ dienen. Was meint ihr, wäre dieses Mädchen bereit dazu?«
 
Alle klatschten in die Pfoten oder Flügel und so feierten sie ihr Fest, bis die Morgendämmerung den Wald in ein sanftes Licht tauchte. Bereits am Vormittag schnürte Peppilotti ihren Rucksack und zog ihre neuen Wanderschuhe über. Sie setzte sich ihren Tiroler Hut auf, packte noch ein Reisetagebuch ein und flog zu dem Mädchen, dass in einem anderen Bundesland wohnte. Entzückt von den weitläufigen Wäldern, die sich ihr bot, setzte sie sich auf einem Zweig hoch in den Bäumen und gönnte sich eine wohlverdiente Rast. »Meine Flügel sind auch nicht mehr die Jüngsten«, dachte sie sich soeben, als sie fröhliche Gesänge und Kindergeplapper vernahm.
 
»Heia hopp, Heia hopp, geschwind‘, geschwind‘, Galopp, Galopp«, tönte es von dem Mädchen. Peppilotti richtete sich auf. »Das könnte spannend werden«, sagte sie sich. »Ihr lieben Blümchen, Bäume, Schmetterlinge – seht, was ich euch heute bringe«, sang das Mädchen. Aus ihrem Rucksack holte sie Nüsse, Rosinen, Brotkrümel und ein paar Samen hervor. Sorgsam verteilte sie ihre Gaben auf mehrere große Blätter und wartete darauf, bis sich die Tiere zu ihr gesellten. Voller Neugier beobachtete Peppilotti von ihrem Stützpunkt aus, was sich nun vor ihren Augen abspielte. In Bruchteilen von Sekunden fanden sich alle möglichen Tierarten ein. Verschiedene Vögel, Eichhörnchen, Rehe, Dachse, Füchse und Schmetterlinge. Dieser Wald glich im Nu einem Zauberwald.
 
Peppilotti räusperte sich und sprach: »Bisch du des Madl, von dem i ghört han? Sog, wie hoast den eigentli? I bin de Peppilotti aus Tirol. Kansch mi segn?« Das Mädchen hob erstaunt ihr Köpfchen, kniff ihre Augen zusammen und erspähte die Eule. »Oh, eine Eule! Wie wunderschön du bist! Hast du mit mir gesprochen? Diesen Dialekt verstehe ich nicht, kannst du bitte deutlicher sprechen?«
 
Peppilotti flog zu ihr herab, verbeugte sich vor ihr und sagte: »Oh, Verzeihung, gnädiges Fräulein! Ich war so überrascht, da geht schon mal der Dialekt mit mir durch. Ich bin die Peppilotti und komme aus Tirol. Stell dir vor, in meinem Waldabschnitt wird von dir erzählt – das konnte ich mir nicht entgehen lassen und wollte dich besuchen. Ich hoffe, es ist dir recht? Wie darf ich dich denn nennen, kleines Fräulein?« Glucksend gab sie zur Antwort: »Na, du bist aber eine lustige Eule! Und dein Name erinnert mich ein wenig an Pippi Langstrumpf. Sag, möchtest du etwas trinken? Ich habe immer meine Wasserflasche bei mir, für alle Fälle. Und mein Name ist Elisabeth, du darfst mich Lilly nennen, wenn du möchtest.«
 
Sie kamen in ein ausführliches Gespräch. Lilly erzählte von ihren strengen Eltern. Davon, dass sie eines Tages entdeckte, die Tiere verstehen zu können. Wann immer es ihre Zeit erlaubte, ging sie in dieses Waldstück, um nach ihnen zu sehen und ihnen eine Kleinigkeit zu geben. Sie alle waren ihre Freunde und gaben ihr das, was die Menschen ihr nicht geben konnten. An manchen Tagen, wenn es zu Hause gar arg war, lehnte sie sich an einem Baum, schluchzte und wollte nie wieder weg von diesem beseelten Ort. Doch da sie noch so klein war, musste sie immer wieder in ihr Elternhaus zurückkehren. Manchmal brachten ihr die Tiere einen Stein, ein Blatt oder eine Blüte, die sie dann in ihrem Zimmer auflegte. So war sie Tag und Nacht mit ihnen verbunden.
 
Peppilotti hörte aufmerksam zu. Zwischendurch schlang sie ihre Flügel um Lilly und rieb mit ihrem Schnabel an ihrer Wange. »Weißt du Lilly, jetzt, wo ich dich ein wenig näher kennengelernt habe, weiß ich, warum du über derartige Gaben verfügst. Es ist ein Ausgleich und ein kleines Dankeschön an dich von Mama Erde und von Gott. Glaubst du an Gott? Wenn nicht, setze stattdessen ein Wort ein, dass dir besser gefällt. Im Moment mag dir das Leben schwer erscheinen, aber glaube mir, in ein paar Jahren wirst du wie ein Leuchtturm für andere Menschen sein. Verstehst du mich, was ich sagen möchte?«
 
Lilly nickte. Mit Tränen in den Augen antwortete sie: »Aber es ist schwer auszuhalten, manchmal. Warum sind wir Menschen so gemein zu einander? Warum lässt Gott zu, dass ich so leiden muss?« Peppilotti drückte sie noch näher an sich heran und sagte: »Mit Gott hat das nichts zu tun, meine Kleine! Glaubst du wirklich, Gott möchte dich bestrafen? Schau, ich zeige dir etwas. Sieh die Steine in dem Bach. Mit ihrer Hilfe kannst du ans andere Ufer gelangen. Stimmt’s? So ähnlich verhält es sich mit dem Leben. Die Steine des Lebens verhelfen dir ans andere Ufer zu kommen. Dort, wo du dich immer zu Hause fühlen wirst, egal, was du machst, wer du bist, wo du wohnst, wieviel Besitz du hast.« »Aha, jetzt verstehe ich. Vielen Dank, liebe Peppilotti. Jetzt weiß ich auch, warum die anderen Tiere immer von der weisen Eule sprechen«, antwortete Lilly.
 
»Ich habe noch einen Auftrag für dich, kleine Lilly. Bitte erzähle den Menschen, wie wichtig es ist, die Natur zu schützen. Werde nicht müde zu erwähnen, dass sie Teil von uns sind. Dass sie achtsamer mit uns allen umgehen mögen, damit auch nächste Generationen eine intakte Umwelt genießen können und damit wir endlich wieder aufatmen können. Willst du es versuchen? Hast du einen Erwachsenen um dich, der dich unterstützen könnte? Es ist nicht notwendig, dass jeder die Tiere, Pflanzen, Bäume, Wesenheiten so versteht wie du. Dafür bist du auserkoren worden. Du bist das Sprachrohr, die ‘Dolmetscherin‘ von uns allen. Du hast einen besonderen Auftrag von höherer Stelle bekommen.«
 
Peppilotti sah durch Lillys Augen bis in ihre Seele hinein. So konnte sie erkennen, was sie in den kommenden Jahren bewirken wird. Freudig beobachtete Peppilotti, dass sich Lilly aufrichtete und immer größer wurde. Sie drehte ihren Kopf dreimal um die Achse, was Lilly laut auflachen ließ. Peppilotti zupfte sich eine Feder aus ihrem Kleid, überreichte sie Lilly und zog ihr Reisetagebuch hervor. In dieses ließ sie Lilly ein paar Worte malen, schnürte sich den Rucksack wieder um, rückte ihren Tiroler Hut zurecht und flog zurück in das Tiroler Land.
 
In ihrem Waldstück wurde Peppilotti bereits sehnlichst erwartet. So kamen die Tiere des Waldes abermals zusammen. Peppilotti öffnete ihren Rucksack und verteilte ihre Geschenke, die sie unterwegs aufsammelte. »Ich sage euch, es ist noch nicht alles verloren! Wenn ihr gesehen hättet, mit welcher Liebe dieses Mädchen mit den Waldbewohnern umgeht, ihr wäret zuversichtlicher!» Peppilotti zeigte der Schar die Eintragung im Reisetagebuch und wie durch Zauberhand strömten unzählige Lichtfunken aus dem Büchlein. Erstaunt sahen die Waldbewohner, dass sich diese auch in ihrem Wald verteilten. In jede kleinste Ritze eines Baumstammes, in das Federkleid der Vögel, in jedes Fell und auch der Bach glitzerte wie ein Sternenmeer.
 
So saßen sie noch lange beisammen und kamen gemeinsam zu dem Entschluss, dass Peppilotti so bald als möglich, wieder auf Reisen gehen sollte. Was wird das nächste Ziel sein? Wen wird die weise Eule diesmal treffen? Welche Erkenntnisse wird sie mitnehmen?
 
Bis bald, deine Peppilotti

© Andrea Mayr, Mai 2022
 
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