#04 Peppilotti am Bodensee
Die ersten Blätter der Bäume begannen sich zu verfärben und kündigten den nahen Herbst an. Die Waldbewohner sammelten bereits fleißig die Früchte des Waldes, um für den Winter gerüstet zu sein. Noch gab es allerorts ausreichend Nahrung, doch Peppilotti ermahnte sie stets früh vorzusorgen. Während jeder seiner Sammelleidenschaft nachging, wurden die Stimmen immer lauter, wohin Peppilottis nächste Reise gehen sollte. »Also, ich bin ja dafür, dass unsere Wächterin endlich den schönen Bodensee kennenlernt«, eröffnete das Eichhörnchen seine Rede. »Noch sind die berühmten Bregenzer Festspiele geöffnet, der See noch warm genug und der Pfänder bietet eine grandiose Aussicht.«
 
Schmunzelnd antwortete Peppilotti: »Dann ist das Reiseziel hiermit beschlossene Sache. Ach ja, ich sehe den See schon vor mir, wie er in der Sonne glitzert, die unzähligen Boote darauf hin und her wiegen. Weiß jemand von euch, welches Stück aufgeführt wird? Und ganz wichtig: Weiß jemand von euch, ob sich Eulen auch ein Mückenspray zulegen müssen? Ich habe gehört, sie sollen sich dort gerne unter die Zuseher mischen und denen das Blut abzapfen!« »Na ja, ganz so dramatisch, wie du es schilderst, wird’s wohl nicht sein, sonst hätten die Festspiele kein Publikum mehr! Gerne kann ich dir einen Spray mixen, noch besser, du nimmst ein kleines Gefäß mit Räucherware mit, denn Rauch mögen sie gar nicht. Nebenbei schaffst du eine wohlige Atmosphäre, was auch den Gästen guttut«, antwortete die Bienenkönigin.
»Taubsi und Täubchen, wollt ihr wieder vorausfliegen und mir eine Unterkunftsmöglichkeit suchen und vielleicht einen interessanten Menschen für mich finden?«
 
Gerne machten sich die beiden Brieftauben auf den Weg ins Ländle. Oberhalb des Arlbergtunnels mit seiner beachtlichen Länge von knapp 14.000 m Länge flogen sie in die Landeshauptstadt Bregenz. Erschöpft genehmigten sie sich eine Rast direkt am Bodensee. Erstaunt sahen sie, wie viele Leute sich dort tummelten und beobachteten die Ausflugsschiffe der Bodenseeschifffahrt. Auf einem großen Aushangfahrplan entdeckten sie die verschiedenen Angebote der Vorarlberg Lines. »Das könnte Peppilotti gefallen, was meinst du, mein Täubchen“, gurrte Taubsi, »hast du gesehen, was die alles anbieten? Glaubst du unsere Peppilotti könnte seekrank werden? Wir werden ihr einige Prospekte mitnehmen und sie kann dann vor Ort entscheiden, welches Angebot sie annehmen möchte.« »So machen wir es, geliebter Taubsi. So wie ich Peppilotti kenne, stürzt sie sich gerne in ein neues Abenteuer. Was glaubst du, was das für ein Spektakel gibt, wenn sie die Eule in ihrem Aufzug sehen werden!«
 
Sie schlenderten am Ufer entlang, bis sie seltsame Stimmen wahrnahmen: »Häasch du dia Änta gsäaha? Dia mit da Klenna? Wia ka ma bloß so dumm tua?! D’Wäalt schtoht jo numma lang!» Verdutzt sahen sich die Tauben an und schüttelten ihre Köpfe. Das könnte interessant werden, sagten sie sich und spazierten zu den aufgebrachten Enten. »Verzeihung die Herrschaften, wir konnten euer Gespräch mitverfolgen, verstanden aber recht wenig. Könntet ihr uns über sprachliche Barrieren hinweghelfen? Um was ging es eben?» Konsterniert blickte die bunte Stockente auf und antwortete genervt: »Aus welcher Welt kommt ihr denn? Was soll es bitte hier nicht zu verstehen geben?« Etwas weniger gereizt antwortete die andere: »Verzeihung, meine Freundin ist heute ziemlich mies gelaunt. Normalerweise ist sie nicht so. Änta heißen bei uns die Enten. Und was meine liebe Freundin derart aufgebracht hat, sind die Nachbarn, die eine sagen wir, andere Auffassung von Kindererziehung haben. Wir müssen achtsam sein mit dem, was uns die Touristen täglich in den See werfen. Nicht alles ist für unsere Mägen geeignet. Die Menschen meinen es gut und fügen uns trotzdem Schaden zu.«
 
Nach diesen Erklärungen nickten die Brieftauben. Sie erzählten von Peppilotti und ihrer bevorstehenden Reise an den Bodensee. Sie fragten, ob sie vielleicht jemanden wüssten, den es lohnte, kennenzulernen. Die Enten verwiesen auf eine Familie nahe des Spielplatzes. Sie saßen auf einer großen Picknickdecke und deckten allerlei Köstlichkeiten auf. Zu ihrer Familie gehörten zwei Kinder, wovon die eine exotisch aussah, doch ihr Lachen steckte jeden an, der sie hören konnte. »Sie sind jeden Tag hier und wenn es jemand verdient hätte, erwähnt zu werden, dann auf jeden Fall diese Familie. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, sonst wäre eine Reise Peppilottis sinnlos, oder?«, schmunzelte die entspanntere Ente.
 
Die Brieftauben erkundeten noch den Weg zum Festspielhaus und flogen mit ihren Informationen zurück in ihr Waldstück. Gespannt erwarteten Peppilotti und die Waldbewohner ihre Berichte. Die weise Eule wusste anhand der Erzählung, was sie erwartete und freute sich schon sehr über diese besondere Familie. Sie überlegte sich ein besonderes Geschenk für ein besonderes Mädchen, packte ihren Rucksack, schnürte ihre Wanderschuhe, vergewisserte sich, ob sie ihre Polaroid Kamera eingepackt hatte, vergaß auch nicht ihre Räuchermischung wegen der Mücken mitzunehmen und verabschiedete sich von den Waldbewohnern.
 
Auf demselben Weg wie Taubsi und Täubchen gelangte Peppilotti an den Bodensee. Sie staunte über dessen Größe und die unzähligen Boote und Ausflugsschiffe. Und sie staunte über die Menschenmenge, die ihr begegnete. Wie bereits in Wien, sah sie auch hier viele Japaner. Inzwischen wusste sie über deren Liebe zum Fotografieren Bescheid und stellte sich ihnen bereitwillig für Fotoaufnahmen zur Verfügung. Sie zog ihren Tiroler Hut und verbeugte sich. Die Japaner applaudierten lautstark mit entzückten Ausrufen von „Ah“ und „Oh“. Mehr verstand die Eule nicht. Sie bannte sich einen Weg aus der Menge und spazierte zum Ufer, um die Stockenten aufzusuchen.
 
»Ihr lieben Stockenten, ich bin die Eule Peppilotti aus dem schönen Tiroler Land. Taubsi und Täubchen erzählten mir von einer besonderen Familie. Könnt ihr mir sagen, wo ich sie finde?«
Die Stockenten bemühten sich um eine deutliche Aussprache und zeigten ihr bereitwillig den Platz, an dem sich die Familie täglich eingefunden hatte.
 
Aus sicherer Distanz beobachtete Peppilotti diese Familie. Sie sah eine große Picknickdecke, auf der sich die Familienmitglieder niedergelassen hatten. Viele bunte Schüsseln mit Obst, Gemüse, Kuchen und Würstel. Auch erkannte sie dieses besondere Mädchen. Ihr Lachen war weit über den Bodensee zu hören. Tanzend und lachend pustete sie Seifenblasen in die Luft und sang dazu: »Kringel, Schlingel, Blubber, Blubb« Vorsichtig näherte sich Peppilotti der Familie, verbeugte sich kurz und sprach: »Verzeihung, liebe Familie. Ich heiße Peppilotti, komme aus Tirol und ich habe von euch erfahren. Darf ich mich ein Weilchen zu euch setzten?«
 
Statt zu antworten stürmte Bärbl, das besondere Mädchen zu ihr hin und rief entzückt:
»Maaamaaa, luag amaal! An Üüla mitn Rucksack und Wanderschuah und anaram Tirolar Huat! Tromm i oder bia i wach? Wia a Gschtaalt us anara aandra Wäalt!«
Angestrengt versuchte Peppilotti zu eruieren, was das Mädchen gesagt haben könnte. Zur Hilfe kam ihr Alexandra, die Mama der beiden Mädchen und erklärte: »Unser Dialekt klingt schon ein wenig seltsam, nicht wahr?! Was Bärbl sagte: Du siehst aus wie eine Gestalt aus einer anderen Welt und sie fragte sich, ob sie träumte oder wachte. Wir werden uns bemühen, dialektlos zu sprechen.«
Bärbl stupste die Eule an und fragte: »Magst auch einmal probieren? Soll ich dir zeigen, wie es geht?« Peppilotti nickte, nahm Platz auf der Picknickdecke und hörte, was die Familie ihr erzählte.
 
»Wie schön, dich kennenzulernen«, sprach Alexandra Peppilotti an, »du hast von uns gehört? Wirklich? Ja, um Himmelswillen, warum denn nur!? Wir sind eine ganz normale Familie. Mit einem besonderen Chromosom zu viel. Ich nenne es stets das Chromosom der Liebe. Kann man von Liebe genug bekommen? Sind wir deswegen etwas Besonderes? Nein, durch Bärbl dürfen wir jeden Tag erfahren, wie wir unser Herz öffnen können. Wir sind entschleunigt unterwegs. Alles geschieht etwas langsamer als üblich. Die Hürden des Alltags gelingen mit einem liebevollen Herzen leichter. Wir drei ‘Mädels‘ genießen jeden Tag so, wie er sich uns zeigt. Manchmal passieren Missgeschicke und darüber können wir herzhaft lachen. Manchmal sind wir traurig und dann erinnern wir uns daran, dass wir einander haben. Manchmal vermissen die Kinder ihren Vater und ich meinen Mann. Dann sehen wir gemeinsam in die Wolken oder Sterne. Oder wir sehen einen Schmetterling, dann wissen wir, dass er bei uns ist. Bärbl kann ihn viel mehr spüren als wir beide. Sie erzählt uns dann immer, wie es ist, wenn Papa mitten unter uns ist. Sie ist ein besonderes Geschenk, wie auch Susanna eine besondere Tochter ist. Beide so unterschiedlich, beide so bereichernd. Weißt du, was ich damit meine, liebe Peppilotti?«
 
Peppilotti fühlte die Liebe Alexandras auf sich übergehen und antwortete: »Ja, ich weiß, was du meinst. Ich verstehe dich sehr gut. Es ist auch für mich ein Geschenk, Menschen zu begegnen, die ihr Schicksal so gelassen annehmen können.« Und schmunzelnd fügte sie noch hinzu: »Und ein zu viel an Liebe kann es tatsächlich nicht geben!«
 
»Habt ihr heute Abend schon etwas vor?«, fragte Peppilotti die Familie »ich würde euch gerne zu den Bregenzer Festspielen einladen. Sie führen ‘Nabucco‘ von Guiseppe Verdi auf. Ihr wisst schon, indem das berühmte Lied ‘Va pensiero‘ des Gefangenenchors zu hören ist. Die Bienen in meinem Wald haben mir eine Räuchermischung mitgegeben. Diese könnte ich entzünden und somit wären wir auch vor den Mücken sicher und könnten uns nebenbei mit einem wohlriechenden Duft verwöhnen lassen.« Mit einem lauten Aufschrei umarmten sie Peppilotti und verabredeten sich für die Abendvorstellung.
 
In der Zwischenzeit unternahm die Eule noch eine Stippvisite an den Pfänder. Tatsächlich, von hier oben hatte man eine grandiose Aussicht. Obwohl sie jederzeit ihre Flügel aufspannen und sich frei bewegen konnte, bot ihr diese Aussicht doch eine andere Perspektive. Sie stellte sich den Besuchern als Fotomotiv zu Verfügung und bat ihrerseits um ein Foto mit ihr. Das wollte sie der Familie als Erinnerungsstück hierlassen.
Für die Abendvorstellung besorgte sich Peppilotti noch eine schicke Stola, die sie sich über ihre Flügel legte. Heute konnte sie endlich ihre Perlenkette tragen, die sie von den Raben ihres Waldstückes für besondere Anlässe bekommen hatte. Ein Blick in den Spiegel ließ sie zufrieden nicken.
 
Die Familie und sie trafen sich am Eingang des Freilufttheaters – auch hier wurden wieder die Kameras gezückt – und nahmen ihre Plätze in den oberen Rängen ein. Von dort konnten sie die gesamte Bühne einsehen und die Akustik bescherte ihnen atemberaubende Momente. Auch die lauten Entzückungsäußerungen Bärbls wurden vom Publikum gelassen wahrgenommen. Als ob sich eine schützende Hand um diese Familie gelegt hätte. Peppilotti entzündete ihr Räucherwerk und sah die Mücken hoch über dem Rauch tanzen.
»Wenn ich einmal groß bin, möchte ich auch auf so einer Bühne stehen. Ich möchte tanzen und singen, so wie diese Darsteller. Aber das wird wohl für immer ein Traum bleiben«, seufzte Bärbl resigniert.
 
»Lass dir von einer Tiroler Eule Folgendes sagen: Nichts im Leben ist unerreichbar, wenn du es wirklich willst! Du kannst heute schon damit beginnen, dir deinen Traum vorzustellen. In all seinen Facetten, in den schönsten, buntesten Farben. In jeder Zelle deines Körpers darf dein Wunsch vibrieren. Und eines Tages wirst du deinen Traum leben können. Denke an meine Worte! Für heute schreibe ich dir einige Notizen auf, die du dir immer wieder durchlesen darfst. Wer weiß, vielleicht musst du auch nicht mehr warten bis du ‘groß‘ bist«, antwortete Peppilotti augenzwinkernd.
Mit leuchtenden Augen sah Bärbl die Eule an, lachte und rief: »Oh fein, ich werde Tänzerin!«
 
Berührt von diesem Abend, getragen von der Musik, beeindruckt von einer durchaus außergewöhnlichen Familie verabschiedete sich Peppilotti. Sie überreichte Bärbl und Susanna ein Mobile aus ihren Federn, übergab ihnen ein Foto vom Pfänder, ließ alle in ihr Reisetagebuch schreiben und umarmte diese warmherzigen Menschen. In der Nähe des Sees baute sie sich einen Schlafplatz zurecht und schlief sehr bald ein.
 
Zeitig in der Früh flog Peppilotti zurück in ihr Waldstück. Dieses Mal hat selbst sie, die weise Eule, etwas vom Leben lernen dürfen. Dankbar und zufrieden traf sie mit den Waldbewohnern zusammen. Sie erzählte von ihrer Reise und präsentierte die Fotos. Und zum Abschluss sagte sie eher beiläufig zu den Waldbewohnern: »Heuer werden wir zur Wintersonnenwende all unsere Freunde einladen. Wir werden für die lieben Menschen eine Hütte bauen, wo sie übernachten können. Wir werden für sie ein Fest geben, dass sie nie wieder vergessen werden! Und für ein Mädchen wird dieses Fest wegweisend sein!« Beifall klatschend begrüßten die Waldbewohner dieses Vorhaben und sie begannen mit Vorfreude Pläne zu schmieden.
 
Bist du neugierig, wohin Peppilottis nächste Reise führt? Demnächst mehr…
Bis zum nächsten Mal, deine Peppilotti
 
© Andrea Mayr
 
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